Anomale Formen
Im milden Nachmittagslicht ratterte der Hubschrauber im Tiefflug den Strand entlang, genau über dem Rand des dichten Dschungels. Das letzte Fischerdorf war vor zehn Minuten unter ihnen vorbeigehuscht. Jetzt gab es nur noch den undurchdringlichen costaricanischen Dschungel, Mangrovensümpfe und Meile um Meile verlassenen Sandstrand. Marty Guitierrez saß neben dem Piloten und starrte durchs Fenster auf die vorbeiziehende Küstenlinie hinunter. Straßen gab es keine in dieser Gegend, zumindest keine, die Guitierrez sehen konnte.
Guitierrez war ein stiller, bärtiger Amerikaner von 36 Jahren, ein Freilandbiologe, der seit acht Jahren in Costa Rica lebte. Ursprünglich war er hierhergekommen, um die Artenbildung der Tukane zu studieren, doch dann war er ganz im Land geblieben und arbeitete jetzt als Berater der Reserva Biologica de Carara, des Nationalparks im Norden. Er schaltete das Funkmikro an und fragte den Piloten: »Wie lange noch?«
»Fünf Minuten, Señor Guitierrez.«
Guitierrez drehte sich um und sagte: »Jetzt sind wir gleich da.«
Aber der große Mann, der auf dem Rücksitz des Hubschraubers saß, antwortete nicht und zeigte auch sonst keine Reaktion. Er saß nur da, die Hand am Kinn, und starrte mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster.
Richard Levine trug einen ausgebleichten Khaki-Anzug und auf dem Kopf einen australischen Buschhut, um den Hals ein abgenutztes Fernglas. Doch trotz seines saloppen Aussehens wirkte er ernsthaft und versunken wie ein Gelehrter. Die Gesichtszüge hinter seiner Drahtgestellbrille waren scharf, seine Miene beim Hinausstarren war konzentriert und kritisch.
»Wo sind wir hier?«
»Die Gegend heißt Rojas.«
»So weit südlich?«
»Ja. Die Grenze zu Panama ist nur gut 15 Meilen entfernt.«
Levine starrte in den Dschungel hinab. »Ich sehe keine Straßen«, stellte er fest. »Wie wurde das Ding denn gefunden?«
»Ein paar Camper«, sagte Guitierrez. »Sind mit dem Boot gekommen und am Strand gelandet.«
»Wann war das?«
»Gestern. Die haben sich das Ding nur einmal angesehen und sind gerannt wie der Teufel.«
Levine nickte. Mit angezogenen Beinen, die Hände unterm Kinn, sah er aus wie eine Gottesanbeterin. Das war auch sein Spitzname an der Universität gewesen – zum Teil wegen seines Aussehens, zum Teil aber auch wegen seiner Neigung, jedem, der nicht seiner Meinung war, den Kopf abzureißen.
»Warst du schon einmal in Costa Rica?« fragte Guitierrez.
»Nein. Es ist das erste Mal«, erwiderte Levine. Und dann schwenkte er unwirsch die Hand, als wollte er sich nicht länger mit Small talk belästigen lassen.
Guitierrez lächelte. In all den Jahren hatte Levine sich überhaupt nicht verändert. Er war noch immer einer der brillantesten und zugleich unbequemsten Männer der Wissenschaft. Die beiden waren in Yale Kommilitonen gewesen, doch dann hatte Levine den Doktorandenkurs verlassen, um seinen Abschluß in Vergleichender Zoologie zu machen. Levine meinte damals, er habe kein Interesse an der Art zeitgenössischer Freilandforschung, die Guitierrez so faszinierte. Mit für ihn typischer Verächtlichkeit hatte er Guitierrez’ Arbeit einmal als »weltweites Papageienscheißesammeln« tituliert.
Im Gegensatz zu seinem Kommilitonen fühlte sich der blitzgescheite und überaus ehrgeizige Levine zur Vergangenheit hingezogen, zu der Welt, die es nicht mehr gab. Und diese Welt studierte er mit obsessiver Intensität. Er war berühmt für sein fotografisches Gedächtnis, seine Arroganz, seine scharfe Zunge und die unverhüllte Freude, mit der er die Fehler seiner Kollegen herausstellte. Wie ein Kollege einmal bemerkte: »Levine vergißt nie einen Schnitzer, und er sorgt dafür, daß man selber ihn auch nicht vergißt.«
Die Freilandforscher mochten Levine nicht, und er erwiderte diese Abneigung. Er war im Grunde seines Herzens ein Mann der Details, ein Archivar des Tierlebens, und er war am glücklichsten, wenn er in Museumssammlungen stöbern, Gattungen neu ordnen oder Ausstellungsskelette neu zusammensetzen konnte. Er hatte etwas gegen den Schmutz und die Unbequemlichkeit des Lebens in der Natur. Hätte er die Wahl, würde er das Museum nie verlassen.
Aber es war sein Schicksal, in einer Zeit zu leben, in der die größten Entdeckungen in der Geschichte der Paläontologie gemacht wurden. In den vergangenen 20 Jahren hatte sich die Anzahl der bekannten Dinosaurierarten verdoppelt, und zur Zeit wurde etwa alle sieben Wochen eine neue Art beschrieben. So zwang sein weltweiter Ruf ihn dazu, beständig zu reisen, neue Funde zu besichtigen und sein Fachwissen Forschern zur Verfügung zu stellen, die nur sehr ungern zugaben, daß sie seine Hilfe nötig hatten.
»Woher kommst du gerade?« fragte ihn Guitierrez.
»Aus der Mongolei«, sagte Levine. »Ich war bei den Flammenden Klippen in der Wüste Gobi, drei Stunden von Ulan Bator entfernt.«
»Oh. Und was gibt es dort?«
»John Roxton macht dort eine Ausgrabung. Er hat ein unvollständiges Skelett gefunden, von dem er glaubt, daß es sich möglicherweise um eine neue Velociraptorenart handelt, und er wollte, daß ich es mir ansehe.«
»Und?«
Levine zuckte die Achseln. »Roxton hat doch von Anatomie keine Ahnung. Er ist ein begeisterter Geldbeschaffer, aber wenn er wirklich mal was findet, weiß er nicht, was er damit anfangen soll.«
»Hast du ihm das gesagt?«
»Warum nicht? Es ist die Wahrheit.«
»Und das Skelett?«
»Das Skelett war überhaupt kein Raptor«, erwiderte Levine. »Der Metatarsus ist zu lang, das Os pubis ist zu ventral, das Os ischii hat keinen richtigen Obturator, und die langen Knochen sind alle viel zu dünn. Und der Schädel …« Er verdrehte die Augen. »Das Os palatinum ist zu dick, die Antorbitalfenster zu rostral, der Distalkamm zu klein – und so weiter und so fort. Ein Klauenbein ist kaum vorhanden. Na ja. Ich weiß nicht, was Roxton sich da gedacht hat. Ich vermute, es handelt sich um eine Subspezies des Troodon, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher.«
»Troodon?« fragte Guitierrez.
»Ein kleiner Fleischfresser der Kreidezeit – zwei Meter von Pes zu Acetabulum. Eigentlich ein ziemlich gewöhnlicher Theropode. Und Roxtons Fund ist nicht einmal ein besonders interessantes Exemplar. Zu dem Material gehört ein integumentales Artefakt – ein Abdruck der Dinosaurierhaut. Das ist an sich nichts Besonderes. Bis jetzt hat man etwa ein Dutzend guter Hautabdrücke gefunden, vorwiegend von Hadrosauridae. Aber keinen wie diesen. Denn mir war sofort klar, daß die Haut einige sehr ungewöhnliche Merkmale aufwies, die man bis jetzt bei Dinosauriern nicht vermutet hatte –«
»Señores«, meldete sich der Pilot. »Juan Fernández Bay liegt vor uns.«
»Erst umkreisen, geht das?« fragte Levine.
Levine sah zum Fenster hinaus, seine Miene war wieder konzentriert, das Gespräch vergessen. Sie flogen über einen Dschungel, der sich bis zum Horizont über hügeliges Land erstreckte. Der Hubschrauber flog eine Kurve und kreiste über dem Strand.
»Dort ist es«, sagte Guitierrez und deutete nach unten.
Der Strand war eine saubere, weiße Sichel, die vollkommen verlassen im Nachmittagslicht lag. Am Südende sahen sie eine einzelne dunkle Masse im Sand. Aus der Luft wirkte sie wie ein Felsen oder vielleicht ein großer Haufen Tang. Die Masse war amorph und hatte einen Durchmesser von etwa anderthalb Metern. Im Umkreis waren viele Fußabdrücke zu sehen.
»Wer war hier?« fragte Levine seufzend.
»Die Leute vom Gesundheitsdienst haben es heute vormittag besichtigt.«
»Was haben sie gemacht?« fragte er. »Es angerührt, irgendwas verändert?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Guitierrez.
»Der Gesundheitsdienst«, wiederholte Levine kopfschüttelnd. »Was wissen die denn schon. Du hättest sie gar nicht in die Nähe lassen dürfen, Marty.«
»He«, entgegnete Guitierrez. »Ich regiere dieses Land nicht. Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand. Sie wollten es zerstören, ohne auf dich zu warten. Wenigstens habe ich es hingekriegt, daß es bis zu deiner Ankunft intakt geblieben ist. Aber ich weiß nicht, wie lange sie noch warten werden.«
»Dann machen wir uns besser an die Arbeit«, sagte Levine. Er schaltete sein Mikro ein. »Warum kreisen wir noch? Es wird schon dunkel. Landen Sie jetzt sofort. Ich will mir das Ding aus der Nähe ansehen.«
Richard Levine lief über den Sand auf die dunkle Masse zu, das Fernglas baumelte ihm vor der Brust. Schon aus der Entfernung konnte er den Verwesungsgestank riechen. Und noch im Laufen prägte er sich erste Eindrücke ein. Der Kadaver war fast bis zur Hälfte in den Sand eingesunken, eine dichte Fliegenwolke umschwirrte ihn. Die Haut war vom Faulgas aufgebläht, was die Identifikation erschwerte.
Ein paar Meter vor dem Tier blieb er stehen und holte seine Kamera hervor. Sofort kam der Pilot zu ihm gelaufen und drückte ihm den Arm nach unten. »No permitido.«
»Was?«
»Es tut mir leid, Señor. Fotografieren ist nicht gestattet.«
»Warum denn nicht?« fragte Levine. Er wandte sich an Guitierrez, der über den Strand auf sie zugetrabt kam. »Marty, warum keine Fotos? Das könnte ein wichtiger –«
»Keine Fotos«, wiederholte der Pilot und nahm Levine die Kamera aus der Hand.
»Marty, das ist doch verrückt.«
»Fang erst einmal mit deiner Untersuchung an«, sagte Guitierrez und unterhielt sich dann auf spanisch mit dem Piloten, der scharf und wütend antwortete und heftig gestikulierte.
Levine sah einen Augenblick zu und wandte sich dann ab. Zum Teufel damit, dachte er. Die können sich noch ewig streiten. Bewußt durch den Mund atmend, eilte er weiter. Der Gestank wurde stärker, je näher er dem Tier kam. Ihm fiel auf, daß trotz der Größe des Kadavers keine Vögel, Ratten oder andere Aasfresser an ihm nagten. Es gab nur Fliegen – in solchen Schwaden, daß sie die ganze Haut bedeckten und den Umriß des toten Wesens verhüllten. Trotzdem war deutlich zu sehen, daß es ein Tier von beachtlicher Größe gewesen war, etwa wie eine Kuh oder ein Pferd, bevor die Gasaufblähung es noch vergrößerte. Die von der Sonne ausgetrocknete Haut war aufgeplatzt und schälte sich ab, eine Schicht schmieriges gelbes Unterhautfett war darunter zu erkennen.
Und wie das stank! Levine verzog das Gesicht. Er zwang sich näher zu treten und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das Tier. Obwohl es die Größe einer Kuh hatte, war es eindeutig kein Säugetier. Die Haut war haarlos. Sie schien ursprünglich grün gewesen zu sein, mit dunkleren Streifen dazwischen. Die Epidermis wies vieleckige Knötchen unterschiedlicher Größe auf, das Muster erinnerte entfernt an das einer Echse. Die Oberflächenbeschaffenheit war je nach Körperteil verschieden, am Unterbauch schienen die Knötchen großflächiger und weniger scharf umrissen zu sein. An Hals, Schultern und Hüftgelenken waren deutliche Hautfalten zu sehen – auch das wie bei einer Echse.
Aber für eine Echse war der Kadaver geradezu riesig. Levine schätzte das Lebendgewicht des Tiers auf etwa 100 Kilogramm. Nirgendwo auf der Welt gab es Echsen, die so groß wurden, höchstens die Komodo-Warane in Indonesien. Warane waren über drei Meter lange krokodilähnliche Echsen, die sich von Ziegen und Schweinen und gelegentlich auch von Menschen ernährten. Doch Warane gab es nirgendwo sonst auf der Welt. Natürlich war es auch möglich, daß dieses Tier zu den Leguanen gehörte. Leguane gab es in ganz Südamerika, und die marinen Leguane konnten ziemlich groß werden. Trotzdem wäre dieses Tier ein Exemplar von Rekordgröße.
Levine ging langsam um den Kadaver herum zum Kopfende des Tiers. Nein, dachte er, das ist keine Echse. Der Kadaver lag auf der Seite, die linke Brustkorbhälfte ragte in die Luft. Fast die Hälfte des Tieres war eingegraben, die Reihe der Höcker, die die stacheligen Auswüchse des Rückgrats markierten, befand sich nur wenige Zentimeter über dem Sand. Der lange Hals war gebogen, der Kopf unter dem Torso versteckt wie der Kopf einer Ente unter dem Flügel. Levine sah ein Vorderglied, das klein und schwach wirkte. Das zweite war im Sand versteckt. Er würde es später ausgraben und untersuchen, aber bevor er irgend etwas an dem Fund veränderte, wollte er ihn fotografieren.
Und je mehr Levine von dem Kadaver sah, desto deutlicher wurde ihm bewußt, daß er sehr behutsam vorgehen mußte. Denn eins war klar: Hier handelte es sich um ein sehr seltenes, möglicherweise unbekanntes Tier. Levine war zugleich aufgeregt und vorsichtig. Wenn diese Entdeckung so bedeutsam war, wie er vermutete, dann mußte sie unbedingt sorgfältigst dokumentiert werden.
Etwas weiter oben am Strand schrie Guitierrez noch immer den Piloten an, der weiterhin beharrlich den Kopf schüttelte. Diese Bananenrepublikbürokraten, dachte Levine. Warum sollte er nicht fotografieren dürfen? Da war doch nichts dabei. Und es war wichtig, die Veränderungen im Zustand des Kadavers zu dokumentieren.
Er hörte ein Knattern, und als er den Kopf hob, sah er einen zweiten Hubschrauber, der über der Bucht kreiste und einen dunklen Schatten auf den Strand warf. Der Hubschrauber war weiß wie eine Ambulanz, mit roter Beschriftung auf der Seite. Im grellen Schein der untergehenden Sonne konnte Levine sie jedoch nicht entziffern.
Er wandte sich wieder dem Kadaver zu und stellte fest, daß das hintere Bein des Tiers, im Gegensatz zum Vorderglied, sehr muskulös war. Das deutete daraufhin, daß dieses Tier auf diesen kräftigen Hinterläufen aufrecht ging. Es gab viele Echsen, die aufrecht stehen konnten, aber keine, die so groß war wie dieses Tier. Und als Levine nun Umriß und Gestalt des Kadavers musterte, wuchs seine Überzeugung, daß es sich nicht um eine Echse handelte.
Er mußte sich beeilen, denn das Licht wurde schwächer, und es gab viel zu tun. Bei jedem Fund dieser Art gab es immer zwei große Fragen zu beantworten, die beide gleich wichtig waren. Erstens: Um was für ein Tier handelte es sich? Zweitens: Woran war es gestorben?
Als er neben dem Oberschenkel stand, sah er, daß die Epidermis aufgeplatzt war, zweifellos aufgrund der subkutanen Gasansammlung. Doch als er den Riß genauer untersuchte, erkannte er, daß es sich um einen tiefreichenden, scharfen Schnitt handelte, der rotes Muskelfleisch und darunter bleiche Knochen bloßlegte. Er ignorierte den Gestank und die weißen Maden, die sich in der Wunde ringelten, denn er merkte –
»Es tut mir leid«, sagte Guitierrez, der zu ihm getreten war. »Aber der Pilot bleibt bei seinem Verbot.«
Der Pilot war Guitierrez nervös gefolgt, stand jetzt neben ihm und beobachtete alles aufmerksam.
»Marty«, sagte Levine. »Ich muß das hier fotografieren.«
»Ich fürchte, du kannst nicht«, erwiderte Guitierrez achselzuckend.
»Es ist wichtig, Marty.«
»Tut mir leid. Ich habe alles versucht.«
Weiter unten am Strand landete der weiße Hubschrauber, das Knattern der Rotoren wurde schwächer. Männer in Uniformen sprangen heraus.
»Marty? Was glaubst du, was für ein Tier das ist?«
»Na ja, ich kann nur raten«, sagte Guitierrez. »Von Proportion und Gestalt her würde ich sagen, es ist ein bis jetzt noch unbekannter Leguan. Es ist natürlich sehr groß und offensichtlich nicht in Costa Rica heimisch. Meine Vermutung ist, daß das Tier von den Galapagos-Inseln stammt oder von einer –«
»Nein, Marty«, sagte Levine. »Es ist kein Leguan.«
»Bevor du weiterredest«, sagte Guitierrez mit einem Seitenblick zu dem Piloten, »solltest du wissen, daß in dieser Gegend verschiedene bis dahin unbekannte Echsenarten aufgetaucht sind. Niemand weiß so recht, warum. Vielleicht hängt es mit der Rodung des Regenwalds zusammen, oder es hat andere Gründe. Aber neue Arten tauchen auf. Vor ein paar Jahren habe ich zum erstenmal nicht identifizierte –«
»Marty, das ist keine verdammte Echse.«
Guitierrez blinzelte. »Was willst du damit sagen? Natürlich ist es eine Echse.«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Levine.
»Du läßt dich wahrscheinlich von der Größe täuschen«, sagte Guitierrez. »Aber Tatsache ist, daß wir hier in Costa Rica gelegentlich auf anomale Formen stoßen –«
»Marty«, entgegnete Levine kalt, »ich lasse mich nie und von nichts täuschen.«
»Na ja, ich habe natürlich nicht gemeint –«
»Und ich sage dir, das ist keine Echse«, sagte Levine.
»Tut mir leid«, entgegnete Guitierrez kopfschüttelnd. »Aber ich kann dir nicht zustimmen.«
Vor dem weißen Hubschrauber standen die Männer in einer Gruppe zusammen und legten weiße Operationsmasken an.
»Ich verlange ja nicht, daß du mir zustimmst«, sagte Levine und wandte sich wieder dem Kadaver zu. »Die Diagnose ist leicht gestellt, wir brauchen nur den Kopf freizulegen oder eins der Glieder, zum Beispiel diesen Schenkel hier, der, wie ich glaube –«
Er hielt inne und beugte sich über den Kadaver. Er musterte die Rückseite des Schenkels.
»Was ist denn?« fragte Guitierrez.
»Gib mir dein Messer.«
»Warum?«
»Gib’s mir einfach.«
Guitierrez zog sein Taschenmesser heraus und legte den Griff in Levines ausgestreckte Hand. Levine ließ den Kadaver nicht aus den Augen. »Ich glaube, das wird dich interessieren.«
»Was?«
»Da an der Haut der Schenkelunterseite ist ein –«
Plötzlich hörten sie Geschrei, und als sie aufblickten, sahen sie, daß die Männer aus dem Hubschrauber über den Strand auf sie zugelaufen kamen. Sie trugen Behälter auf den Rücken und schrien etwas auf spanisch.
»Was schreien die denn?« fragte Levine stirnrunzelnd.
Guitierrez seufzte. »Sie wollen, daß wir zurücktreten.«
»Sag ihnen, wir sind beschäftigt«, sagte Levine und bückte sich über den Kadaver.
Aber die Männer schrien weiter, und plötzlich war lautes Fauchen zu hören, und als Levine sich umdrehte, sah er, daß Flammenwerfer angezündet wurden, die große rote Feuerstrahlen ins Abendlicht stießen. Er rannte um den Kadaver herum und auf die Männer zu und schrie: »Nein! Nein!«
Aber die Männer beachteten ihn nicht.
»Nein!« rief er. »Das ist ein unschätzbares –«
Der erste der Uniformierten packte Levine und stieß ihn grob in den Sand.
»Was zum Teufel soll denn das?« schrie Levine und rappelte sich hoch. Doch im selben Augenblick sah er, daß es zu spät war, die ersten Flammen hatten den Kadaver bereits erfaßt, die Haut färbte sich schwarz, das Methan in den subkutanen Gastaschen entzündete sich in knallenden, blauen Stichflammen. Rauch stieg in dicken Schwaden in den Himmel.
»Aufhören! Aufhören!« Levine drehte sich zu Guitierrez um.
»Mach, daß sie aufhören!«
Aber Guitierrez rührte sich nicht, starrte nur den Kadaver an. Der Torso knisterte in den Flammen, das Fett brutzelte, unter der verbrennenden Haut kamen die schwarzen, flachen Rippen des Skeletts zum Vorschein, und plötzlich drehte sich der ganze Torso, der Hals reckte sich in die Flammen, in Bewegung versetzt von der schrumpfenden Haut. Und in den Flammen sah Levine eine lange, spitze Schnauze, Reihen scharfer Raubtierzähne und leere Augenhöhlen, und das Ding brannte wie ein mittelalterlicher Drache, der sich lodernd in die Luft erhebt.